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Es lohnt sich

Der Alumni-Verein Hamburger Soziologinnen und Soziologen ist das Netzwerk für den beruflichen, wissenschaftlichen und privaten Austausch für alle ehemaligen und aktuell Studierende der Soziologie an der Universität Hamburg.

Eine Mitgliedschaft im Alumni Verein lohnt sich für alle, denn wir bringen Alumnis, Studierende, Unternehmen und die Universität Hamburg zusammen.
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  • Aktive Mitglieder, intensiver Austausch und abwechslungsreiche Veranstaltungen
  • Netzwerk für Studierende, Alumnis, Unternehmen und die Universität Hamburg
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15. Forum Wissenschaft

An sieben Terminen im Sommersemester hatte der Alumni Verein Hamburger Soziologen und Soziologinnen e.V. prominente Gäste geladen, den Begriff und das Schlagwort vom Prekariat näher zu erläutern. In der öffentlich-medialen Debatte beschreibt das Wort zumeist sog. Unterschichtphänomene. Allzu häufig werden Einkommensarmut und unsichere Arbeits- u. Lebensverhältnisse als individuelle pathologische Schuldzuweisungen benutzt. Dass diese Erscheinungen, die man als „Neue Unsicherheit“ (aus dem lat.-franz.: prekär = unsicher, schwierig) bezeichnet, keinesfalls nur auf die unteren Ränder der Gesellschaft beschränkt ist, zeigten die sieben hoch unterschiedlichen Gäste aus Wissenschaft und Praxis sehr deutlich.

Die Auftaktveranstaltung bestritt Klaus Dörre (Uni Jena) mit seiner Frage und dem Thema, ob das Prekariat nun neues Protestpotential oder eher totes politisches Kapital sei. Nach den eindrucksvollen Ergebnissen aus seiner eigenen Forschung reüssierte er mit der Antwort, dass beides richtig sei. Es müsse gelingen den Entrechteten und unsicher Beschäftigten auch eine entsprechende Stimme zu geben. Dies sei keinesfalls so selbstverständlich, wie man denke. Dennoch sei die Situation nicht so hoffnungslos. Es läge noch viel Arbeit vor Politik und Gesellschaft insgesamt, um die vielfältigen sozialen Symptome zu beheben und außerdem ein Bewusstsein zu schaffen für den Begriff und den Zustand der Prekarität.

Kolja Rudzio (Die Zeit) lieferte eine anschauliche Übersicht zu der Frage ob Zeitarbeit nun letztendlich Fluch oder Segen sei. Oftmals läge das Problem darin, dass sich verschiedene Interessengruppen jeweils die eigene Meinung durch ausschnittartige Zahlen zurechtlägen. So könne man stets die Zahlen nennen und interpretieren, die am besten geeignet seien, ein Vorurteil zu bestätigen. Häufig werden Zahlen verglichen, die in keinem Zusammenhang stehen. So werden oft Jahres- u Wachstumswerte der Beschäftigten in Zeit- u. Leiharbeit mit Monats- o. Quartalsangaben verglichen oder es werden Branchen und Segmente gegeneinander ausgespielt, was die seriöse theoretische Diskussion erschwere. Insgesamt lautet die Antwort auf die Frage nach Fluch oder Segen, dass es ein sowohl als auch gäbe. Es müsse aber auch gelingen, den Missbrauch einzudämmen.

Richard Detje (VSA Verlag) ging der Frage nach ob Arbeitszeitverkürzung als „Deutsches Jobwunder“ mit seinen alten Hindernissen und neuen Chancen geeignet sei, der Unsicherheit zu begegnen. Zuerst gelte es, alte Vorurteile abzubauen. Die aktuelle Empirie zeige deutlich, dass durch weniger Arbeit mehr erreicht werden kann als durch das Patentrezept der Ausweitung der Arbeit. Bemerkenswerte Details fanden sich in seinen Folien. Dennoch bleibt die Debatte darum kontrovers.

Kally Darm schilderte aus autobiographischer Perspektive das Leben an der Abbruchkante. Den Herleitungen aus einer eigenen Lebenswelt der Sechzig/Siebzigerjahre in WG´s und als Musiker und Aktivist schloss sich eine politische Perspektive über Alternativen und Sichtwechsel an. Zwar sei das aktuelle Geschehen am Arbeitsmarkt nicht hinnehmbar, aber dennoch bedeute ein Leben in Armut und Unsicherheit an der Abbruchkante keine Unmündigkeit. Es käme darauf an, sein Leben auch selbst in die Hand zu nehmen und sich zu emanzipieren von den herrschenden Verhältnissen.

Ulla Ralfs (Uni Hamburg) skizzierte das Phänomen des akademischen Prekariats. Damit ist weniger das Klischee vom Taxifahrer mit Hochschulabschluss gemeint, als viel mehr die Ursache, dass das Hochschulsystem selbst erst höchst prekäre Arbeitsverhältnisse schafft. Die Orientierung an der Drittmittelförderung sowie die Ausrichtung an neuen Strukturen des System in Bachelor/Master-Lehrplänen beschleunigen höchst prekäre Laufbahnen in Form von Projektarbeit, Lehraufträgen als unbezahlter Privatdozent, W-Professuren und Befristungen. Zwar sei die Universität noch nie ein Ort sicherer Karriereverläufe. Die klassische Laufbahn als verbeamteter Professor erreichten stets nur wenige, aber dennoch zeigt sich, dass die herkömmliche Erwerbstätigkeit an einer Hochschule immer seltener werde.

Dass sich sowohl die Gewerkschaften als auch die Gesellschaft insgesamt auf neue Herausforderungen einstellen müssen, die aus dem Umstand der unsicheren Beschäftigung und ihrer Rahmung ergeben, erläuterte Uwe Polkaehn (DGB Nord). Insbesondere die zu einseitige Konzentration auf bestimmte Segmente der Beschäftigten habe dazu geführt, dass vielerlei Beschäftigungsformen gar keine Lobby mehr hätten. Zudem sei es nun schwierig, entstandene Gräben wieder zu schließen. Und je arbeitsmarktferner eine Gruppe oder einzelne Individuen wären, desto schwerer fällt es, diese für eine Gewerkschaft zu gewinnen. Als klassisches Problem wurde die Bildung im Streit zum Budget genannt. Wenn es gelänge, breite Schichten wieder langfristig politisch und auch schulisch zu bilden, wäre schon ein Schritt getan. Jedoch sei solch ein Programm sehr aufwändig und bei zunehmender Kostenorientierung und finanzieller Schwächung eine große Herausforderung.

Als gelungene Abschlussveranstaltung referierte Werner Goldschmidt (ex HWP) über die Frage der Politischen Soziologie der Prekarität. Dabei bediente er sich des Titelzitats von Bourdieu: Prekarität ist überall. Sehr eindrucksvoll schilderte er dabei den politisch historischen Verlauf der Entwicklung von Helmut Schmidt über Helmut Kohl bis zu Gerhard Schröder und der Agenda 2010 und Hartz IV. Deutlich wurde dort auch, dass der finanzmarktgetriebene Kapitalismus („Casinokapitalismus“) die Hauptursache für die Entwicklung der letzten 30 Jahre ist. Liberalisierung, als Wachstumsmotor gedacht, hat sich in ihr Gegenteil verkehrt in der Kapitalakkumulation und Zirkulation zum Selbstzweck wurden, der einigen wenigen dient. Entsprechende mediale Inszenierungen und Denkschulen gingen daraus hervor und werden nicht mehr hinterfragt.

Die ausführlichen Beiträge der sieben Referenten werden mit Ergänzungen voraussichtlich im Frühjahr 2011 im VSA Verlag erscheinen.

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